IALANA: Bundestagsbeschluss, durch den deutsche Streitkräfte für den Krieg gegen Afghanistan bereitgestellt würden, wäre verfassungs- und völkerrechtswidrig

Otto Jäckel

 

Am kommenden Mittwoch, den 15.11.2001 wird im Deutschen Bundestag in zweiter und dritter Lesung über den Kabinettsbeschluss vom 7.11.2001 zur deutschen Beteiligung am Afghanistankrieg entschieden. Danach soll der Bundestag die Bundesregierung ermächtigen, innerhalb eines Jahres je nach Anforderung durch die USA selbst über den Einsatz von bis zu 3900 Bundeswehrsoldaten zu verfügen. Die verfassungsrechtlichen und völkerrechtlichen Voraussetzungen für einen solchen Beschluss sind aus folgenden Gründen nicht gegeben.

 

Nach dem Friedensgebot in Art.26 Abs.1 GG können militärische Beistandsmaßnahmen nach Art.24 Abs.2 GG nur zur Verteidigung gegen einen bewaffneten Angriff im Einklang mit dem Völkerrecht gemäß Art.25 GG erbracht werden.

 

Die Bundesregierung beruft sich in ihrem Kabinettsbeschluss ebenso wie zuvor der NATO-Rat bei der Beschließung des Beistandsfalls darauf, dass nach den Attentaten vom 11. September das Selbstverteidigungsrecht der USA nach Art.51 UN-Charta gegen die Taliban-Regierung von Afghanistan gegeben sei.

 

Art.51 UN-Charta garantiert das naturgegebene Recht zur individuellen und kollektiven Selbstverteidigung im Falle eines bewaffneten Angriffs gegen ein Mitglied der Vereinten Nationen bis der Sicherheitsrat die zur Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit erforderlichen Maßnahmen getroffen hat.

 

Was als "bewaffneter Angriff" in diesem Sinne gilt, haben die Vereinten Nationen in Art.3 der Resolution 3314 (XXIX) zur Definition des Begriffs Aggression vom 14.12.1974 wie folgt bestimmt:

a) die Invasion oder der Angriff durch die Streitkräfte eines Staates auf das Gebiet eines anderen Staates...

b) die Beschießung oder die Bombardierung des Hoheitsgebiets eines anderen Staates durch die Streitkräfte eines anderen Staates...

c) das Entsenden bewaffneter Banden, Gruppen, Freischärler oder Söldner durch einen Staat oder für ihn, wenn sie mit Waffengewalt Handlungen gegen einen anderen Staat von so schwerer Art ausführen, dass sie den oben angeführten Handlungen gleichkommen, oder die wesentliche Beteiligung an einer solchen Entsendung.

 

Mit der Frage eines bewaffneten Angriffs durch die Entsendung oder die wesentliche Beteiligung an der Entsendung von bewaffneten Banden durch einen Staat hatte sich der Internationale Gerichtshof in Den Haag, neben dem Sicherheitsrat und der Generalversammlung eines der Hauptorgane der Vereinten Nationen, 1986 in dem Klageverfahren von Nicaragua gegen die USA zu befassen. In seinem Urteil kam der Gerichtshof zu dem Ergebnis, dass die Verminung der nicaraguanischen Häfen und andere militärische Maßnahmen durch reguläre Streitkräfte der USA eine völkerrechtswidrige bewaffnete Aggression darstellten, nicht jedoch die Finanzierung, Ausrüstung und Bewaffnung der nicaraguanischen Contra-Einheiten; dies deshalb, weil das Gericht den Contras eine relative Selbständigkeit bei der Planung und Durchführung ihrer Aktionen unterstellte. Deren Aktionen seien deshalb nicht der Regierung der USA als bewaffneter Angriff zuzurechnen.

 

Dementsprechend wurde von der herrschenden Völkerrechtslehre mit Ausnahme der USA und Israels bisher auch kein bewaffneter Angriff im Sinne des Art. 51 UN-Charta angenommen, wenn terroristische Aktionen gegen einzelne Staatsangehörige oder Gruppen von Staatsangehörigen auf fremdem Territorium verübt wurden und ein dritter Staat vermuteter Maßen oder bewiesen die terroristischen Aktionen unterstützt. Die US-Bombenangriffe auf Tripolis und Bengasi vom 14.04.1986, die als militärische Antwort auf die Verwicklung von Libyern in den Bombenanschlag auf die Berliner Diskothek "La Belle" am 05.04.1986 durchgeführt wurden, sind deshalb ebenso als völkerrechtswidrig verurteilt worden wie die Angriffe der USA auf den Sudan und Afghanistan wegen der Al Quaida zugeschriebenen Attentate auf US-Einrichtungen 1988 (vgl. Ipsen, Völkerrecht 4. Aufl. 1999, S. 948).

 

Subsumiert man die bisher bekannten Fakten unter diese rechtlichen Bestimmungen, die dazu ergangene Rechtsprechung des IGH und die Völkerrechtslehre, so ist festzustellen, dass die USA eine Entsendung der Attentäter vom 11. September durch die Taliban-Regierung bisher selbst nicht behaupten. Um die Terroranschläge der Taliban-Regierung zuzurechnen reicht es auch nicht, wie die Bundesregierung in dem Kabinettsbeschluß vom 07.11.2001, darauf zu verweisen, dass die Taliban Osama bin Laden beherbergen und schützen. Durch die Beherbergung werden sie nämlich entgegen der Meinung der Bundesregierung nicht zu Mittätern an den Massenmorden vom 11. September, sondern machen sich allenfalls der Strafvereitelung schuldig.

 

Ein bewaffneter Angriff nach Art. 51 UN-Charta, der zu dem Selbstverteidigungsrecht der USA und einer Beistandspflicht Deutschlands nach Art. 5 NATO-Vertrag führen würde, liegt nach den bisher veröffentlichten Fakten somit nicht vor.

 

Weiterhin gilt das Selbstverteidigungsrecht nach Art. 51 UN-Charta nur solange, bis der Sicherheitsrat der VN selbst die zur Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit erforderlichen Maßnahmen getroffen hat. Nach Art. 5 NATO-Vertrag sind deshalb die Maßnahmen einzustellen, sobald der Sicherheitsrat die erforderlichen Schritte unternommen hat.

 

Dies war spätestens mit der Resolution 1373 (2001) vom 28.09.2001 der Fall. Darin hat der Sicherheitsrat ein ganzes Bündel von Maßnahmen zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus beschlossen, die die Staaten mit politischen, wirtschaftlichen, polizeilichen und gesetzgeberischen Mitteln umsetzen sollen. Zur Begleitung und Kontrolle der Maßnahmen hat der Sicherheitsrat eine Kommission eingesetzt, die ihm nach Ablauf von 90 Tagen berichten soll. Von militärischen Maßnahmen gegen Afghanistan ist in dieser Resolution ebenso wenig die Rede wie in der vorangegangenen Resolution 1368 (2001) vom 12. September 2001. In beiden Resolutionen geht es dagegen darum, die Anstifter, Mittäter und Helfershelfer der Terroranschläge zu fassen und vor Gericht zu stellen. Soweit der Sicherheitsrat in den Präambeln beider Resolutionen auf das Selbstverteidigungsrecht hinweist, endete dieses jedenfalls mit den von dem Sicherheitsrat am 28. September ergriffenen Maßnahmen.

 

Selbst wenn schließlich den USA das Notwehrrecht nach Art. 51 UN-Charta zustünde, so gilt als elementarer Rechtsgrundsatz, dass Notwehr nur mit Mitteln ausgeübt werden darf, die verhältnismäßig sind. Die von den USA seit Wochen durchgeführten Bombardements sind unverhältnismäßig, weil sie zu erheblichen Opfern in der Zivilbevölkerung führen und sie sind auch dazu ungeeignet, das Netzwerk des internationalen Terrorismus zu beseitigen. Noch viel weniger ist erkennbar, wie sie dem vom Sicherheitsrat der VN erklärten Ziel dienen sollen, die Terroristen zu verhaften und vor Gericht zu stellen.

 

Otto Jäckel, Rechtsanwalt in Wiesbaden, ist Director im Board of Directors der IALANA und stellv. Vorsitzender der deutschen Sektion der IALANA (International Association of Lawyers Against Nuclear Arms)